Lebenslinien

Jan Avgikos

Die Setzung von Markierungen ist grundlegend in der Kunst, wir tendieren jedoch dazu, dem Vorgang eine Chronologie des „Davor, Währenddessen und Danach“ zu geben und ihn zu interpretieren: als Verkörperung einer Handlung, als Verweis, als Zurückbleibendes, als Spur, als etwas Beiläufiges, etwas Zufälliges, als Konzept, als Kommunikation, als Metapher, als Form der Selbstbehauptung, als Abheben, als Punkt, als Linie, als das, was er ist, als Beginn von etwas Neuem.

Semiotische Flexibilität ist der Schlüssel zu Otto Zitkos Kunst, die sich formal als laufende Untersuchung des vielgestaltigen Potenzials von Malerei als Handlung, Objekt und Umgebung darstellt. Er arbeitet direkt an der Wand. Gelegentlich produziert er seine Linien gleichzeitig auf Aluminiumtafeln und auf der Wand, an der sie hängen. Die Malerei, die Linie, die Markierung – das alles entsteht auf diese Weise – werden auf das Minimum reduziert und rhythmisch ins Dionysische gesteigert. Alles geschieht auch mit äußerster Absicht. Der traditionelle Rahmen der Malerei wird aufgebrochen, und die Linie läuft auf den Wänden und Decken des Ausstellungsraumes Amok, als würde sie Architektur und Raum belagern (oder in einem Liebesakt umfangen). Für den/die Betrachter/in entsteht durch die explosive Energie von Zitkos Malerei und die Tatsache, dass sie uns ganz umgibt, das Gefühl einer Berg-und-Tal-Fahrt. Es ist, als befänden wir uns im Bild, zusammen mit dem Künstler, ZeugInnen des Schöpfungsaktes. Der Abdruck, den Tanz und Körperbewegung hinterlassen, ist so stark, dass er unsere Sichtweise belebt. Bevor uns unser Tun bewusst wird, drehen und verdrehen wir uns, schöpfen das Werk selbst nach und reagieren darauf, als wäre es eine Choreografie von epischer Breite.

Auf hoch konzeptueller Ebene stimmig, ist Zitkos Malerei darauf aus, gleichzeitig überall zu sein. Dieser Eindruck wird durch die Geschwindigkeit seiner frei ausgeführten gestischen Linie befördert – einer Linie, die aussieht und sich anfühlt, als wäre sie nie unterbrochen, durch und durch kontinuierlich. Wäre dies wirklich der Fall, würde sie den Künstler als Superwesen ausweisen, das „mit einem Satz auf ein Hochhaus springen“ und im wahrsten Sinn des Wortes seine Linie ziehen kann, ohne dass ihm Grenzen gesetzt wären. Wir sind ZeugInnen dessen, was vielleicht als spektakuläre Folgen einer Flucht gelten könnte – der Flucht aus den Grenzen, die der Körper auferlegt, der Ausbruch aus Tafelbild und Rahmen, aus dem zweidimensionalen Ausstellungssetting. Zitkos Linienkompositionen strömen durch die Architektur, hin und her, von der Wand zum Boden und zur Decke, sie verschlingen den Innenraum, als wäre kein Ende in Sicht. Wir begeben uns auf eine wilde Fahrt, die Funken der Fantasie fliegen und entzünden Ideen zu Kunst und KünstlerInnen als etwas, das frei ist von allen Zwängen.

Und doch, auch wenn es so scheint, ist die Linie keine durchgängige Markierung. Wir wissen, dass das nicht sein kann. Um den Farbstrich die Wand hinaufzuziehen, in verborgene Ritzen, an der Decke hin und her, mehrmals um eine Stelle, und dann weiter in eine andere Richtung, muss Zitko Leitern, Gerüste und viel Improvisation einsetzen, um seine Reichweite zu vergrößern. Seinem Geschick ist es zu verdanken, dass die Nahtstellen zwischen dem Spontanen und dem Vorbedachten, dem Expressiven und dem Schematischen, dem Transparenten und dem Trompe-l’Œil unsichtbar bleiben.

Zitkos gemalte Installationen sind mehr als ein rein visuelles Erlebnis. Wir spüren die Spannung, die die fließende Linie mit geradezu konvulsiver Dringlichkeit vorantreibt, sie pulsiert im Raum und verspricht eine Erweiterung der sinnlichen und emotionalen Erfahrung. Wir werden hineingezogen, als wäre die Linie eine Partitur für atemlose Körper. Susan Sontag forderte in ihrem Essay Gegen Interpretation aus dem Jahr 1964 eine „Erotik der Kunst“ im Gegengewicht zu dem, was sie als „Hermeneutik der Kunst“ bezeichnete. „Heute geht es darum, daß wir unsere Sinne wiedererlangen. Wir müssen lernen, mehr zu sehen, mehr zu hören und mehr zu fühlen. Es ist nicht unsere Aufgabe, ein Höchstmaß an Inhalt in einem Kunstwerk zu entdecken. Noch weniger ist es unsere Aufgabe, mehr Inhalt aus dem Werk herauszupressen, als darin enthalten ist. Unsere Aufgabe ist es vielmehr, den Inhalt zurückzuschneiden, damit die Sache selbst zum Vorschein kommt.“(1)

Sontags Bemerkungen weisen auf die Qualitäten der Unmittelbarkeit und des direkten Ansprechens der Sinne hin, die offenkundig den Inhalt von Zitkos Arbeit darstellen. Seine raumfüllenden Installationen sind durch ein Beharren auf der Malerei als Erfahrungsbereich gekennzeichnet, in dem physische und soziale Kontexte die Angelpunkte sind. Seine Kompositionen haben das Ausmaß von Wandbildern, die als Gegensatz zu jener Kunst zu sehen sind, der wir in einer statischen Beziehung gegenübertreten, wenn wir beim Betrachten eine Armlänge davon entfernt stehen. Es sind jedoch die Dynamik und Theatralik der vielgestaltigen zweidimensionalen Linie, die im Zusammenspiel mit der Architektur den Innenraum – den Raum des/der Betrachters/in – belebt. Die Bewegung formt Bögen, die Oberfläche zu Struktur und schließlich Körper werden lassen, räumliche Beziehungen auflösen und Unterscheidungen zwischen hier und dort, innen und außen, jetzt und früher zum Verschwinden bringen. Unter diesen Umständen wird es schwierig, Schwellen der Differenz zu lokalisieren.

Vom Gebäude zum Körper, vom Künstler zum/r Betrachter/in – alles läuft über die Linie, sie ist Leitung, Katalysator der Interaktivität. Die Linie mag vielleicht keine ununterbrochene, kontinuierliche Markierung sein, jedenfalls ist sie ein einzigartiges und einziges Ereignis – keine Korrekturen, keine zweiten Versuche, keine Übermalungen und Neuanfänge. Vom architektonischen Innenraum zur Aluminiumtafel, von einer Installation zur nächsten, sei es in Österreich, Indien oder in den USA (alles Orte, wo Installationen von Zitko zu finden sind), zieht sich die Linie weiter, setzt dort wieder an, wo sie auf ihrer Mission aufgehört hat, die einander durchdringenden Welten, in denen wir leben, zu kartografieren. Die Geschwindigkeit und ihr Erscheinungsbild sind wichtige Katalysatoren in diesem Prozess. Geschwindigkeit ist List in Zitkos Kunst. Dazu angetan, ein Sperrfeuer an Spezialeffekten auszulösen, ist sie das „weiße Rauschen“, das Grenzen zum Verschwimmen bringt. Und doch: Sie unterstreicht auch die inhärente Rastlosigkeit, die wir bisweilen im unaufhörlichen Markieren und Zeichnen sehen, als kreiste der Künstler (und in der Folge auch wir) ständig um den Ort der Kunst, kratzte und schnupperte daran, versuchte, ihn lange genug festzuhalten, um einen Blick auf die Sache selbst zu erhaschen. „Der höchste und befreiendste Wert in der Kunst – und in der Kritik – ist heute die Transparenz. Transparenz meint die Leuchtkraft des Gegenstandes selbst, der Dinge in ihrem Sosein.“(2)

Mit einem immer stärker diversifizierten Vokabular an Markierungen, von bleistiftdünnen Linien bis zu breiten Bändern aus Farbe, in ständig wechselnden und adaptierbaren Konfigurationen gekritzelt, verschlungen, zu Schleifen geformt, geballt und ausgedehnt, branden Zitkos Kompositionen durch den Ausstellungsraum, als wollten sie (unsere Sinne) befreien und (neue Möglichkeiten für die) Kunst wiederherstellen. Die erfindungsreiche Transformation des Ausstellungsraums spricht den/die Betrachter/in direkt an und dient als Katalysator für unsere Beschäftigung mit der Kunst, zu der wir nicht mehr auf Distanz gehen können. Wir werden in ein Drama hineingezogen, das sich vor unseren Augen, in greifbarer Nähe, entwickelt, wir erleben seine Wucht und die vielen Rhythmen, die uns dazu bringen, die Wände hinaufzuschießen, über Decken zu rasen, aus den Deckenbalken zu lugen und in Ecken zu krachen. Der Raum ist aktiviert, und unsere Körper sind mit Bewegung aufgeladen, während wir die abstrakt-visuelle Partitur nachspielen. Und doch stellt sich die Frage, ob wir jemals von der Stelle kommen – zumindest im traditionellen Sinn. Zitkos Opulenz der Linie, die so geschickt die Oberfläche der Dinge besetzt, könnte uns in Realzeit mit viel Aufwand auf eine Hochgeschwindigkeitsfahrt schicken, die – und diese Warnung erhalten wir oft und oft – an Nebenschauplätzen endet.

Wir spielen mit, treten in Zitkos Kompositionen ein und spielen sie nach, indem wir die an Panoramen erinnernden Dimensionen seiner Raumzeichnungen auf uns wirken lassen. Die Körper der BetrachterInnen spiegeln die Bewegungen wider, die der Körper des Künstlers bei der Produktion der Arbeit ausführt; dieses Huckepack eröffnet die performativen Dimensionen der Kunst und bestätigt, dass der/die Betrachter/in in der ästhetischen Situierung eine zentrale Rolle spielt. Der Künstler ist unser Avatar, wir wechseln immer wieder den Standort und lesen die Komposition als Choreografie. Vielleicht ist das der ultimative Horizont für die Möglichkeiten, die sich für das Werk bieten. Indem wir uns vom Tun des Künstlers durchströmen lassen, schalten wir auf den Betriebsmodus „virtueller Körper“ – so können wir so präsent wie nur irgend möglich sein, so können wir die Malerei realer machen.

Die direkte Art und Weise, in der Zitkos Kunst unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht – in der Sekunde, ab dem ersten Augenblick, in dem wir ihr begegnen –, wird verstärkt, wenn die Architektur als materielle Dimension des Werks aktiviert wird. In manchen Fällen ist das Zusammenspiel zwischen Malerei und Architektur so aggressiv inszeniert, dass die Merkmale und Ausformungen des Ausstellungsraums ausgelöscht werden. Dennoch enthüllt die unruhige Symbiose die Bedeutung des relationalen Denkens in einer Praxis, die zwischen den Disziplinen und Diskursen von Malerei, Zeichnung, Installation, Architektur, Tanz und Performance angesiedelt ist. Wir könnten auch „Fechten“ auf diese Liste setzen, denn Zitko war in jüngeren Jahren ein ausgezeichneter Wettkampffechter.

Der „Art brut“-Stil, der für Zitkos Kunst charakteristisch ist, schafft eine Verbindung zu diversen visuellen „Doppelgängern“ – Kinderzeichnungen, Graffiti, Vandalismus – und deutet auf ein Verschwimmen der Unterschiede zwischen der „geschulten“ und der „ungeschulten“ Geste hin. Ein Lexikon der Affinitäten zwischen Zitkos Praxis und Methoden, die erstmals von der historischen Avantgarde ausprobiert wurden, enthielte sicherlich den Querverweis auf Zufallsoperationen – Écriture automatique, Peinture automatique und andere spontane Handlungen im Namen der Kunst.

Denken wir an Zitkos Installation aus dem Jahr 2006 im außergewöhnlichen Gebäude des Salzburger Kunstvereins. Die harmonischen Proportionen der monumentalen Innenräume, ihre Weite und Helle verströmen zurückhaltende Schönheit. Dieses Umfeld bildet die perfekte Folie für Zitkos Malerei, sie durchrast den Raum, als wollte sie Zerstörung. Und doch liegen in Zitkos Kunst der Ausdruck von Gewalt und unbändigem Wunsch, das Umgebende zu feiern, nahe beisammen. In der Installation in Salzburg brechen kräftige rote Markierungen, grob ausgeführt, den vorher so ruhigen Innenraum auf: die apollinische Ordnung in der Geiselhaft der dionysischen Intervention. Wie ein nächtlicher Einbruch inszeniert, scheint sie eine Plünderung ohne Ende.

Unabsichtlich, automatisch, intuitiv vielleicht, reagieren wir auf friesartig gesetzte gestische Explosionen, nehmen einen Abschnitt wahr, dann einen weiteren, lassen uns von orgiastischen Rhythmen tragen und untersuchen ihre Eigenschaften, wie sie kommen und gehen. Aus einem Blickwinkel sehen wir eine spektakuläre Invasion, aus einem anderen wiederum eine gefährliche Odyssee. So oder so, Zitkos Kunst fügt sich in die antiästhetischen Impulse, die in der modernen Kunst des frühen 20. Jahrhunderts einen Kristallisierungspunkt fanden. Wir könnten die physische Aggression und den Sportsgeist, die der Produktion seiner Kunst vordergründig inhärent zu sein scheinen, mit den Performances der Futuristen vergleichen – im Besonderen denke ich an Filippo Tommaso Marinettis Faustkämpfe. Marinetti als Boxer, Zitko als Fechter – zwei Künstler, die einen kämpferischen Ansatz gemein haben, mit einem kritischen Unterschied: Während Marinetti mit anderen zusammenarbeitete, ficht Zitko Kämpfe mit sich selbst aus. Wir können ihn uns in zumindest einer seiner Erscheinungsformen vorstellen – im Kampf mit sich selbst als Künstler, im Kampf mit sich selbst als Subjekt, im Kampf mit der Architektur, im Kampf mit der Welt.

Zitkos Kunst erinnert auf gewisse Weise auch an den Dadaismus und die bekannte Neigung seiner ProtagonistInnen, die Selbstzufriedenheit des/der Betrachters/in zu durchbrechen und den ästhetischen Status quo auf den Kopf zu stellen. Es gibt Verbindungslinien zwischen Zitkos Installationen und Kurt Schwitters’ auf Territoriumsgewinn ausgerichteten Merzbau, der sich mit erstaunlicher Gefräßigkeit in seine architektonische Umgebung vorarbeitete. Schwitters definierte seine Form der performativen Kunst als Aufführung ohne Probe, bei der sich alle „DarstellerInnen“, vom Opernsänger bis zum Meerschweinchen, aktiv einbrachten. Wir könnten Zitko und seinen „Alles oder nichts“-Ansatz – und das scheint mir eine gute Beschreibung seiner Installationen im Salzburger Kunstverein, in der Galerie Elisabeth & Klaus Thoman in Innsbruck (2007) und an anderen Orten – auch mit Marcel Duchamp und seinen berüchtigten 16 Miles of String in der Sidney Janis Gallery in New York (1949) vergleichen, Teil der wichtigen Gruppenausstellung First Papers of Surrealism. Duchamp, der als letzter Künstler der Ausstellung seine Arbeit in situ installierte, verspannte eine Schnur in der gesamten Galerie, vom Boden zur Decke und von Wand zu Wand. Die BetrachterInnen waren effektiv daran gehindert, die Ausstellung zu betreten, wenn sie nicht bereit waren, die Schnur kraftvoll zur Seite zu ziehen, um sich in der Galerie umherbewegen zu können. Die Schnur war als kontinuierlich antagonistische Geste angelegt – raumgreifend, die Anstandsregeln durchbrechend, forderte sie von Betrachter und Betrachterin die aktive Beschäftigung – produktiv wie destruktiv.

Duchamps Werk 16 Miles of String ist ein wichtiger Präzedenzfall für Zitko, nicht nur, was den Automatismus der Installation und die durchgehende (und durchgehend ungebärdige) Linie anlangt, sondern auch aufgrund der begrenzten Lebensdauer als materielles Objekt. Bei Ausstellungsende wurde Duchamps Schnur abgenommen und weggeworfen, sie hatte über den zeitlich beschränkten Rahmen der Ausstellung hinaus keinen Wert. Auf nicht unähnliche Weise werden Zitkos Wandmalereien, wahre Gewaltakte, nicht produziert, damit sie erhalten bleiben, auch wenn sie eine festgelegte oder nicht festgelegte Zeit lang einen bestimmten Raum besetzen. Das Kunstwerk, das nicht erhalten oder konserviert werden kann, ist vielleicht ein Werk, das im Grunde unvollendet bleibt. In Zitkos Praxis ist die Einzigartigkeit jedes malerischen Vorgehens verwirkt, sie fällt den zeitlichen Umständen anheim, die ihrer Existenz zugrunde liegen.

Die Energie der Arbeit spiegelt sich in der Bandbreite von Eigenschaften, vom Kraftvoll-Körperlichen zum extrem Ephemeren. Die Malerei ist da, setzt sich durch und hat doch in vielen Fällen ein Ablaufdatum. Tafelbildgroße Bildträger, die in die Installation eingebaut werden, ändern die Situation ein wenig. In der Galerie Elisabeth & Klaus Thoman in Innsbruck sind Alutafeln an der Wand, auf die in situ gemalt wird, untrennbar mit den linienförmigen Farbsträngen verbunden, die selbstbewusst die Wände bedecken. Für die Dauer der Ausstellung sind die Tafeln und die Wände eins – eine Oberfläche, eine Installation. Keines herrscht über das andere, sie sind zu einer durchgehenden, wenn auch modularen Oberfläche verbunden.

Was den Arbeitsprozess angeht, so sorgt Zitko zuerst für die Hängung, dann malt er. Die Tafeln sind nicht als Ausgangspunkte oder Endpunkte für das Gesamtwerk definiert – wenn überhaupt, fungieren sie als eine Art Schwelle, die den Produktionsprozess bremst, wie auch Mauerornamente und andere architektonische Details die Gesten verlangsamen und den Fluss der Farbe über verschiedene Ebenen der Oberfläche unterbrechen. Die Tafeln fungieren niemals als zweidimensionale Mikrokosmen eines größeren Bildes, welches sich im umgebenden Raum entfaltet. Sie sind integraler Bestandteil der Installation. Sind die Wände eines Ausstellungsraumes dann wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzt und geweißt für die nächste Ausstellung bereit, werden die bemalten Aluminiumtafeln autonom und erwachen zu eigenem Leben. Sie stellen nicht die Installation an sich dar, sondern filtern die polarisierten Erfahrungen heraus, die für Zitkos Installationen charakteristisch sind. Sie verweisen auf die starke Körperlichkeit, die ein Erkennungszeichen seiner Kunst ist, und auf das Gefühl von Verlust und Abwesenheit, indem sie aus einer Installation stammen, die nicht mehr existiert und an die sie gebunden sind – wie sie in geringerem Maße an jede andere Installation gebunden sind, die Zitko produziert. Die Installationen und Tafeln gehören einem Kontinuum von Ereignissen – einem Feld von Beziehungen – an, das durch kaleidoskopische Vielfalt gekennzeichnet ist. Eine dieser konzeptuellen Konstellationen hat mit den temporären Texturen zu tun, die aus den Lagenwechseln zwischen Präsenz und Absenz entstehen, in einer Art und Weise, die an Robert Smithson und die Site/Nonsite-Dialektik erinnert, mit der Fragen über Rahmen und Grenzen, die wir der Kunst aufzwingen, aufgeworfen werden.

Zitko ist damit nicht alleine, einige andere zeitgenössische KünstlerInnen arbeiten ebenfalls im Feld der erweiterten Malerei und legen den Begriff „Oberfläche“ als etwas aus, das auch architektonische Flächen und räumliche Environments umfasst; auf diese Weise ermöglichen sie es den BetrachterInnen zu spüren, wie es ist, in Kunst hineinzugehen und von Kunst umgeben zu sein. Matthew Ritchies Bilder haben sich aus den traditionellen Konstrukten aus Keilrahmen und Leinwand entwickelt und bedecken nicht nur Wände, Decken und Böden, sie manifestieren sich auch in Hybriden aus Malerei, Architektur und Skulptur. Franz Ackermanns Mental Maps springen aus zweidimensionalen Oberflächen hervor und nehmen mit ihren herausgearbeiteten architektonischen Elementen und bemalten Bildträgern, die die Oberflächen der Ausstellungsräume verlängern, die Dimension von Environments an. Ritchie, Ackermann und andere, darunter auch Julie Mehretu und Shahzia Sikander, erweitern die Malerei durch bildnerische Elemente und narrative Fragmente, die in den architektonischen Raum vordringen.

Trotz seiner Affinität zu diesen KünstlerInnen – was die Einbindung des/der Betrachters/in und die Dramatik angeht, die daraus entsteht, dass man in ein Bild hineingeht (anstatt es lediglich zu betrachten) – braucht Zitko zum Gelingen seiner Manöver nicht mehr als eine gemalte Linie; sie reicht aus, um die abstrakte Seite der Malerei und die konkrete Erfahrung, die der/die Betrachter/in damit macht, herauszuarbeiten. „Transparenz“ – der Begriff kehrt zurück und erinnert uns an Sontags Überlegungen dazu, die Sache selbst zu sehen, und das mit all unseren Sinnen.

 

Anmerkungen:
(1) Sontag, Susan: „Gegen Interpretation“. In: dies., Kunst und Antikunst. 24 literarische Analysen. Frankfurt am Main 1982, S. 22.
(2) Ebd., S. 21.

Dieser Text wurde publiziert in: Otto Zitko – Die Konstruktion der Geste, Hemma Schmutz, Barbara Steiner, Ingeburg Wurzer (Hg.), Berlin 2008, S. 150–154.